AutorIn des Monats

An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen unsere beliebtesten Autorinnen und Autoren. Viel Vergnügen beim Kennenlernen und Lesen!


Autor des Monats: Niklas Mannerow

Niklas Mannerow wurde 2001 in einer ostholsteinischen Kleinstadt geboren und studiert derzeit in Hildesheim. Als Ausgleich zum Studium taucht er beim Schreiben in andere Welten und verarbeitet in seinen Texten, was ihm hier und da im Leben begegnet.

Seine erste Geschichte schrieb er für den KROGGL Literaturpreis 2022, bei dem er den fünften Platz belegte. Seitdem bringt er regelmäßig neue Ideen zu Papier, von denen jede hofft, einmal ein ganzer Fantasyroman zu werden…

Niklas Mannerow belegte den 5. Platz beim KROGGL Literaturpreis!

Eine ganze Woche ohne Pflichten 

Es war Sommer, die Vögel sangen ihre Lieder und die Welt schien voller Abenteuer.

Am anderen Ende des Tals bahnte die goldene Morgensonne sich langsam ihren Weg dem wolkenlosen, strahlend blauen Himmel entgegen. Stück für Stück schwanden die kalten Schatten der Nacht, an ihre Stelle trat warmes mittsommerliches Tageslicht. Aus dem Grau der Morgendämmerung wurde das saftige Grün der Bäume und des schier unendlichen Grasmeeres, der seichte Fluss am Fuße des Berges begann grell zu funkeln. Weit in der Ferne war ein Gasthaus zu erspähen, von dem ein dünner Rauchfaden gen Himmel stieg.

Auf seine Pike gestützt, beobachtete Hermsh das Schauspiel von dem Berg aus, auf dem der kleine aber gut gepflegte Sitz der Familie von Argen thronte. Der Sitz jener Familie, in deren Diensten Hermshs Familie seit Generationen stand. Wie alle Adelsfamilien, ob klein oder groß, waren auch die von Argen zuweilen exzentrisch, dennoch waren sie wohlwollende und gerechte Herrscher.

Er gähnte. Nichts war schlimmer, als am Morgen nach einem Gelage Wache zu halten. Sein Schädel dröhnte schrecklich und die Wärme der Sonne verbesserte diesen Umstand nicht.

Hinter Hermsh öffneten sich mit Quietschen und Klacken die mit Eisen beschlagenen hölzernen Tore. Als er sich umdrehte, trat sein Lehensherr, Sir Cuno von Argen, aus dem Anwesen. Wie konnte das sein? Er war doch an diesem Morgen erst abgereist, um sich mit seinen Vettern in einer benachbarten Stadt zu treffen. Hermsh hatte selbst gesehen, wie er noch in der Dunkelheit durch die Tore geritten war. Sicher, er war nach der Abreise seines Herrn im Dienst kurz eingeschlafen, aber er hätte sicherlich nicht ruhig schlafen können, wäre dieser unerwartet zurückgekehrt. Aus dem einen oder dem anderen Grund.

"Guten Morgen Hermsh."

Hermsh hatte das Gefühl, ein leichtes Zittern in Sir Cunos Stimme zu hören.

"Guten Morgen Herr."

"Ich mache einen Spaziergang mit meiner Tochter. War sie schon hier?"

"Nein, Herr. Darf ich euch eine Eskorte zusammenstellen?"

Einen Spaziergang? Der Ritter wollte doch verreisen?

"Das ist nicht nötig. Das Tal ist ruhig."

"Verzeiht Mylord, ich denke es wäre sicherer…"

"Wenn ihr während eures Dienstes wach seid?" Schnitt ihm Sir Cuno das Wort ab und hob fragend eine Augenbraue.

Hermsh verstummte. Er wurde noch roter, als er es durch seinen gestrigen Rausch ohnehin war.

"Dachte ich mir. Ich werde unten an der Lichtung auf sie warten. Wenn sie kommt, lasst sie passieren."

Hermsh senkte den Kopf, als der Ritter sich an den Abstieg machte.

Kurze Zeit später öffnete sich erneut das schwere, eisenbesetzte Tor und Liah von Argen, die Tochter von Sir Cuno, trat hinaus. Schmucklos in ihrem schlichten Leinenkleid und den zum Knoten gebundenen braunen Haaren ähnelte sie weniger einer Adeligen als einer gemeinen Magd. Seltsamerweise brachte dieses Erscheinungsbild ihren Vater an manchen Tagen in Rage, an anderen schien es ihn nicht zu stören. Ein Muster war für Hermsh nicht ersichtlich. Mit sich trug sie einen kleinen Beutel.

"Guten Morgen Hermsh."

"Guten Morgen Herrin."

"War mein Vater bereits hier?"

"Das war er Herrin. Er erwartet euch unten an der Lichtung. Wenn ihr mir die Frage gestattet, wollte euer Vater nicht…"

"Wolltet ihr nicht nüchtern euren Dienst antreten?"

Die Worte von Liah von Argen zeigten dieselbe Wirkung wie die ihres Vaters. Als sie den Ausdruck in Hermshs Gesicht sah, schenkte sie ihm ein aufmunterndes Lächeln.

"Naja, dann wäre der gestrige Abend weniger vergnüglich gewesen. Ihr habt die Hofdamen hervorragend unterhalten. Bis später Hermsh."

"Bis später Mylady."

Hermsh seufzte. Was war gestern passiert? Er dachte angestrengt nach, aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Er würde es später herausfinden müssen.

Als Liah aus Hermshs Sichtweite war, blieb sie stehen und atmete hörbar auf. Sie blickte ins Tal und spürte warm die Sonne im Gesicht. Sie schloss die Augen und lauschte dem Rauschen der Blätter im seichten Wind. Für einen Moment stand sie einfach da und genoss den Augenblick. Sie lächelte. Eine ganze Woche sollte ihr Vater unterwegs sein. Eine ganze Woche ohne Pflichten, eine ganze Woche voller Freiheit.

Dann machte sie sich wieder an den Abstieg. Es war warm. Schnell begann ihr Schweiß über die Stirn zu laufen. An einer Abzweigung hielt sie sich links und kam kurze Zeit später in ein kleines, schattenspendendes Wäldchen. Problemlos fand sie die Lichtung, welche von einem seichten Flussarm geteilt wurde. Dort blieb sie stehen. Sie legte ihren Beutel ab und schaute sich um.

Ein nur wenige Meter entferntes Rascheln erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wandte sich dem Gebüsch zu und musste lächeln.

"Du kannst rauskommen. Das bin nur ich."

Es raschelte noch einen Moment, dann sprang aus dem Gebüsch ein kleines, menschenähnliches Wesen. Es war anderthalb Fuß groß und hatte eine riesige Knollennase. Es war ein Gnom. Freudig hüpfte er auf Liah zu.

"Liah! Es hat funktioniert! Wie schön!"

"Hat es, Ektor, hat es. Du hast Hermsh ein richtig schlechtes Gewissen gemacht."

"Ja, ich bin der geborene Herrscher, ich bin ein echter Tyrann!"

Angesichts des Übermuts des Gnoms musste Liah laut lachen.

Nachdem sie sich begrüßt hatten, gingen die beiden zum Fluss und suchten sich eine Stelle im Schatten der Bäume. Dort öffnete Liah ihren Beutel, in dem sie eine Decke sowie einige Äpfel, Weintrauben, Brot und Käse verpackt hatte. Sie breiteten die Decke aus und ließen sich darauf fallen, betrachteten den wolkenlosen blauen Himmel über sich.

"Meinst du, sie kriegen es irgendwann raus?"

"Ich weiß es nicht Ektor. Ich hoffe nicht. Ich bin gerne mit dir zusammen."

"Ich bin auch gerne mit dir zusammen."

Für einen Moment schwiegen sie wieder.

"Also." Ektor drehte sich mit einem schiefen Grinsen zu Liah. "In wen soll ich mich morgen verwandeln?"

Liah erwiderte das Grinsen.

"Wie wäre es mit Hermsh? Stell dir sein Gesicht vor, wenn er auf einmal vor sich selbst steht."

"Genial! Ich habe noch an den neuen Küchenchef gedacht, stell dir mal vor…"

In diesem Moment ließen Liahs Gedanken den euphorischen Gnom hinter sich. Sie begann sich auszumalen, was sein würde. Eine ganze Woche ohne Pflichten stand ihr bevor, eine ganze Woche voller Freiheit. Es war Sommer, die Vögel sangen ihre Lieder und die Welt schien voller Abenteuer.


© Niklas Mannerow, 2024


Wir bedanken uns bei Herrn Mannerow für den unterhaltsamen Text und wünschen ihm weiterhin alles Gute!



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