Kurzgeschichten

In der Kürze liegt die Würze – Kurzgeschichten mit weniger als 1.000 Wörtern und mit einer Lesezeit unter 5 Minuten. Praktisch zur Erheiterung für zwischendurch! 

Vor dem Kaffee

Die gesamte Wohnung stinkt nach Katzenkötel und ausgerechnet heute verspätet sich die Zustellung des Streus. Annika bestellt es immer beim Bio-Hof, weil es dort ökologisch nachhaltig ist, und weil die es dann auch gleich CO2-positiv mit dem Lastenrad anliefern. Nur ist ausgerechnet heute das Lastenrad wenige Meter vor unserem Haus umgekippt. Der Fahrer wurde von einem abbiegenden Kebablieferanten geschnitten. Jetzt liegt das Streu mitten auf der Kreuzung und beide Fahrer fluchen und schreien sich an, weil niemand den Unfall verursacht haben will.

"Die zwei hauen sich noch gegenseitig den Schädel ein", sagt Tom. Er schlägt vor, dass mal jemand die Polizei ruft, aber irgendwie sind alle zu beschäftigt damit, beim Streiten zuzusehen, und Tom selbst kommt gar nicht erst auf die Idee, zum Hörer zu greifen, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, das Ganze zu filmen — so, wie er alles filmt, was ihm irgendwie aufregend erscheint. Also streiten die zwei Fahrer weiter und die Anwohner starren weiter aus dem Fenster und Tom hält alles fest und wird es später auf Youtube stellen. Schade, denke ich, dass man die Schimpfwörter wegen des Mähdreschers auf dem Feld gegenüber nur leise hört. So ein Spektakel hat es in der Siedlung schon lange nicht mehr gegeben.

Annika hängt kopfüber zum Fenster raus und zappelt. Sie jammert, dass sie den Gestank nach Katzenscheiße nicht mehr aushält und dass jetzt endlich jemand was unternehmen muss, weil wir sonst alle krepieren. Dass das alles ihre Schuld ist, hat sie längst vergessen.

"Das Streu liegt direkt vor deiner Tür. Geh runter und hol's dir doch", sagt Edgar.

"Du meinst, das geht?"

Er zuckt mit den Achseln und sagt, er sehe keinen Grund, warum es nicht gehen soll. Immerhin hat Annika das Streu ja schon bezahlt und bevor es der Wind in die Vorgärten weht, sei es doch allemal besser, wenn sie es hole und für das verwende, wofür es vorgesehen ist.

Sie nickt und zieht sich ihre Sneakers an, aber ich halte sie zurück und weise sie darauf hin, dass das schon sehr pietätlos wäre, immerhin hat es einen Unfall gegeben und die Fahrer streiten und sicher kommt auch bald die Polizei und so oder so würde das komisch aussehen. Da schleudert sie wütend ihre Schuhe in die Ecke, stapft ins Bad, knallt die Tür hinter sich zu und schließt theatralisch ab. Als ich anklopfe, dreht sie den Fön auf und grölt lautstark dieses eine Schlagerlied von Helene Fischer, das ich so hasse, und ich wünschte mit einem Mal, ich hätte die letzten Ohropax nicht mit den abgelaufenen Kondomen im Restmüll entsorgt.

Annika ist Friseurin, aber sie bezeichnet sich selbst lieber als Schönheitsspezialistin und weil sie sich selbst für so schön hält, denkt sie, dass ihr niemand widersprechen darf. Eine aufreibende Angewohnheit, die ich ihr längst abgewöhnen hätte sollen. Leider ist die Tatsache, dass wir nur ein Bad haben, ein psychologisches Druckmittel, das ihr in die Hand spielt. Es dauert nämlich nicht lange, da muss ich aufs Klo, obwohl ich noch fast gar nichts getrunken habe — nicht einmal der morgendliche Kaffee war mir ob der Aufregung vergönnt. Also klopfe ich an die Badezimmertür und bitte Annika höflich, mir die Tür zu öffnen, aber sie will erst rauskommen, wenn ich mich bei ihr entschuldige.

"Ich entschuldige mich sicher nicht, ich habe nichts getan!", verteidige ich mich brüskiert.

"Nichts getan? Du hast mich pietätlos genannt", sagt Annika und klingt dabei hysterisch und beleidigt zugleich.

Wenn ich ihr Gesicht nicht sehe, kann ich nur schwer abschätzen, ob sie die Aufregung spielt, oder ob sie es tatsächlich ernst meint. Eilmeldung: Ich muss pinkeln und zwar dringendst!

"Es geht hier nicht um dich, sondern um das Katzenstreu", erinnere ich sie. "Wieso kann Rambo nicht einfach zum Scheißen in den Garten gehen?"

Es muss ja wirklich nicht sein, dass das Katzenvieh den ganzen Tag draußen ist und ausgerechnet zum Scheißen in die Wohnung kommt und dann seinen Haufen nicht einmal zudeckt, denke ich insgeheim, aber das will ich nicht aussprechen, sonst verbringe ich mein restliches Leben vor der Badezimmertür. Und ehe ich mich versehe, heult Annika.

Ich versuche, sie zu beruhigen, aber je mehr ich auf sie einrede, desto mehr muss ich. Ich tänzle vor der Klotür herum, weil ich's fast nicht mehr halten kann, und Tom filmt mich. Er sagt, dieser Anblick hat was, er lacht und meint, dass er in meinem Gesicht die Not sieht, die der Harndrang auslöst, das gefällt ihm, weil er so eine Szene für gewöhnlich nicht einfach so vor die Linse bekommt. Nur Annika interessiert das alles nicht. Sie schweigt sich aus und Tom filmt mich weiter, wie ich wie ein Trottel vor der Tür auf und ab hopse.

"Bitte komm jetzt raus!", flehe ich ein letztes Mal, aber es klingt wütend und nicht versöhnend.

"Nein, du Arschloch. Hau ab!!"

Da reicht es mir. Ich rüttle an der Türklinke und stelle sie vor ein Ultimatum: "Mach auf, oder ich schiff direkt ins Katzenkisterl!", drohe ich und meine es für diesen einen Moment sogar ernst. Aber Annika lacht nur und nennt mich einen Kisterlbrunzer. Dann dreht sie zwecks psychologischer Kriegsführung in der Badewanne das Wasser auf und ich flüchte mich in den Garten hinter den von Blattläusen angefallenen Fliederbusch.

Und während ich mich erleichterte, biegt Rambo um die Ecke, läuft auf mich zu und schmiegt sich schnurrend an meine Waden. 

© Astrid Holzmann-Koppeter